Rassismus

Rassismus stellt neben Sexismus, Antisemitismus, Homophobie und der Ausgrenzung von Behinderten, Alten und Armen wohl eine der markantesten systematischen Diskriminierungsformen in unserer Gesellschaft dar. Die wohl pointierteste Rassismus-Definition stammt von Albert Memmi. Er schreibt, bei Rassismus gehe es primär um die Festlegung von Unterschieden und deren Bewertung im Dienste der Rechtfertigung einer übergeordneten Position. Dieser Grundsatz hat in die meisten neueren Begriffsdefinitionen Eingang gefunden.

Der Begriff "Rassismus" entstand in den 1930er-Jahren. Seine Schöpfer wollten damit die Überbewertung des damals gängigen "Rasse"-Konzepts in Wissenschaft und Politik kritisieren. Obwohl die Begriffsentstehung an die heute wissenschaftlich widerlegte Idee der "Rasse" gebunden ist, scheint der Begriff "Rassismus" auch weiterhin am besten geeignet, um entsprechende Phänomene zu beschreiben (Terkessidis 1998). Der Begriff wird allerdings immer wieder kritisch hinterfragt.

Robert Miles bemängelte beispielsweise Ende der 80er-Jahre die oft sehr unscharfe Verwendung des Begriffs "Rassismus". Entweder werde der Begriff übermässig oft verwendet. Rassismus lasse sich dann kaum mehr von Nationalismus oder Sexismus unterscheiden. Oder das Wort werde in einem derart engen Sinn gebraucht, dass Rassismus ausschliesslich zum Problem der "Weissen" werde (Miles 1989). Zentral in der Theoriearbeit von Miles ist der Prozess der Rassenkonstruktion, welchen er "Rassialisierung" (= die willkürliche Zuschreibung vermeintlich natürlicher Merkmale) nennt. Die Unterscheidungsmerkmale seien historisch gewachsen und zufällig ausgewählt. Er zeigt dies unter anderem anhand des Beispiels der schwarzen bzw. weissen Hautfarbe als spezifische Bedeutungsträgerin. Miles meint, dass man ebenso gut zwischen Menschen mit einem kleinen und Menschen mit einem grossen Mund hätte unterscheiden können. Das Unterscheidungsmerkmal ist absolut willkürlich gewählt. Auch wenn die Gedanken von Miles für die Debatte über den Begriff "Rassismus" wichtig sind, konnte sich sein Vorschlag, „Rassismus“ durch „Rassialisierung“ zu ersetzen, nicht durchsetzen.

Die Existenz von menschlichen Rassen als biologisches Phänomen wurde in den 60er-Jahren widerlegt. Trotzdem ist "Rasse" als gesellschaftliche Fiktion, als soziales Konstrukt weiterhin populär und hat einen grossen Einfluss auf die Denkweise vieler Menschen sowie ihre sozialen Interaktionen. Die "rassistische Darstellungsform des negativen Anderen" geht dabei meist mit einer Darstellung des "positiven Eigenen" einher (Miles 1991). Wird also eine Gruppe bei der Zuordnung zu einer "Rasse" mit negativ bewerteten Merkmalen verbunden oder wird einer bestimmten "Rasse" eine rational nicht zu erklärende Bedrohung anderer Gruppen zugeschrieben, muss von Rassismus gesprochen werden.
Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes (FRB) definiert entsprechend rassistische Diskriminierung als "jede Praxis, die Menschen aufgrund physiognomischer Merkmale und/oder ethnischer Herkunft und/oder kultureller Merkmale (...) und/oder religiöser Zugehörigkeit Rechte vorenthält, sie ungerecht oder intolerant behandelt, demütigt, beleidigt, bedroht oder an Leib und Leben gefährdet." Physiognomische Merkmale verweisen auf Hautfarbe und andere körperliche Charakteristika. Die ethnische Herkunft meint die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sprachlich und kulturell einheitlichen Volksgruppe. Zu den kulturellen Merkmalen gehören Sprache und Name. Die religiöse Zugehörigkeit bezieht sich auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Glaubensgemeinschaft. Nicht nur Menschen mit einem ausländischem Pass, auch Schweizerinnen und Schweizer können also Opfer von rassistischer Diskriminierung sein – zum Beispiel, wenn sie einen fremdländisch klingenden Namen tragen, eine ungewohnte Hautfarbe haben oder einer bestimmten religiösen Gruppe angehören.

Diskriminierung erfolgt nicht immer direkt, sie besteht nicht nur aus offensichtlicher Benachteiligung oder Herabwürdigung. Indirekt diskriminieren auch Massnahmen und Regelungen, die für alle gleich gelten, sich aber auf unterschiedliche ethnische Gruppen ungleich auswirken. Ungleichbehandlungen aufgrund der Herkunft, Hautfarbe, Kultur oder Religion können sich mit Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht überschneiden. Das Phänomen der mehrfachen Diskriminierung trifft zum Beispiel auf Frauen zu, die gleichzeitig einer ethnischen Minderheit und einer unteren sozialen Schicht angehören. Was als rassistische Diskriminierung interpretiert wird, kann in diesem Fall im Kern beispielsweise Frauenfeindlichkeit darstellen oder ein Verhalten, das sich gegen die soziale Herkunft einer Person richtet – und umgekehrt. Im Gegensatz zu Diskriminierungen aufgrund eines einzigen Merkmals sind Mehrfachdiskriminierungen meist nur in gewissen Teilaspekten vom Antirassismusgesetz erfasst.

< Hintergrundwissen